Hansen, Frank-Peter: Was es bei Heidegger zu bemängeln gibt, 15.06.09

Die Existenzphilosophie Martin Heideggers wird von AVINUS-Autor Frank-Peter Hansen einer grundlegenden Kritik unterzogen. Der Vorwurf: Je universeller und allumfassender die Begrifflichkeiten Heideggers sich wähnen, als desto hohler und leerer erweisen sie sich.

„Doch das Sein – was ist das Sein? Es ist Es selbst.“

Auf das Lob der „Vergessenen Bücher“ folgt der Tadel der Mangelerscheinungen des wissenschaftlichen Geistes. Als erstes habe ich mir den Großmeister philosophischer Sinnsucherei, den Seinsbeschwörer aus Meßkirch vorgenommen, wobei einmal nicht auf seine immer wieder als anrüchig empfundene politische Vergangenheit mißbilligend gedeutet, sondern auf seine gedanklichen Fehler die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll. Das scheint immer noch und vor allem heute wieder geboten, weil intellektfeindliches Orakeln sich auf seine Gedankenlosigkeit etwas zugute und für der Weisheit letzten Schluß hält. Es ist es nicht, wie im folgenden gezeigt werden soll, was natürlich nicht nur eingefleischte Heideggerianer, sondern vermutlich Akademiker jeglicher Couleur gegen das Dargebotene aufbringen wird, sofern sie es überhaupt zur Kenntnis nehmen. Bestenfalls wird man der Befassung mit dem Gebotenen dadurch ausweichen, daß man mir eine undifferenzierte Herangehensweise vorwirft, weil ich den „Denkweg“ dieses großen Philosophen unberücksichtigt gelassen habe. Dem widerspreche ich nicht, möchte aber darauf hinweisen, daß diese Begründung eines prinzipiellen Desinteresses nichts weiter als eine leicht durchschaubare Ausflucht ist, sich mit dem, was Heidegger an hier zur Diskussion gestellten Ansichten tatsächlich und nachgewiesenermaßen wann auch immer vertreten hat nicht befassen zu wollen. Irgendetwas läßt sich allenthalben geltend machen, nicht zur Sprache gekommen zu sein, wenn man es denn geltend machen will, um den Verfasser an dieser Auslassung zu blamieren und deswegen für nicht der Befassung würdig zu befinden. Exempla docent. Überdem ist es ohnehin einer der beliebtesten Abwehrtechniken in gedanklichen Dingen, einer Kritik dadurch auszuweichen, daß man sich auf Formfragen oder Fragen des wissenschaftlichen Benimm kapriziert, um durch derartige Erwägungen den inhaltlichen, sachhaltigen Argumenten auszuweichen. Anders gesagt, ich prätendiere gar nicht, eine umfassende Darstellung seiner geistigen Entwicklung zu geben, sondern will an Hand einiger ausgewählter Beispiele dann aber doch auf das prinzipiell Verfehlte der Argumentationsweise der Fundamentalontologie hinweisen. Und daß diese philosophische Richtung vom Sein in seiner Differenz zum Seienden her argumentiert, werden selbst seine Parteigänger nicht bestreiten können, sie mögen schimpfen und/oder sich in Schweigen hüllen.

Wer im übrigen etwas selbstverständlich auch Kritisches über Heideggers „Denkweg“ von mir lesen will, der konsultiere das erste Kapitel der 2008 erschienenen Arbeit „Nicolai Hartmann – erneut durchdacht“. (S. 9-19) Heldenverehrenden Legendenbildungen wird freilich auch hier nicht Vorschub geleistet. Weder wird von den zukunftsweisenden Taten des jungen Genies Martin berichtet noch von der zerknirschten, selbstkritischen Weisheit des geläuterten Alters, eben weil nichts dergleichen, sondern viel eher, wie man hört, ein durch nichts zu bekehrender „Altersstarrsinn“, wie es beschönigend und verharmlosend von interessierter Seite, also von derjenigen seiner durch nichts zu beirrenden Adepten heißt, überliefert ist. Heidegger ist seinem sei’s existential-, sei’s fundamentalontologischen Seinsgefummel und -geraune inklusive den daran hängenden radikalen politischen Implikationen zeitlebens treu geblieben, Kehre hin, Denkweg her.

Da aber das Irrationale nicht allein bei den Heideggerianern hoch im Kurs steht – und mit Parteigängern dieser Einstellung läßt sich, was zu erwähnen eigentlich überflüssig ist, rational nicht streiten – soll in dieser geplanten Serie auch auf andere Formen dieses Dauerbrenners eingegangen werden, der selbst dort seine Blüten treibt, wo man ihn am wenigsten erwartet: im Bereich des aussagenlogisch gestützten und mathematisch unterlegten logischen Positivismus‘ etwa. Das hat, um dies flüchtig anzureißen, hauptsächlich damit zu tun, daß die Grundposition der Mathematik darin besteht, ganz frei und aus sich heraus auf der Grundlage von selbstgegebenen Axiomen Mannigfaltigkeiten zu schöpfen und zu setzen, weil sie sich nicht an Sachhaltigem zu messen braucht. Logische Positivisten setzen nämlich, in Anlehnung an Wittgensteins Traktat, die empirische Wahrheit oder Falschheit der sogenannten Elementarsätze einfach voraus, und die Wahrheit oder Falschheit der Satzkomplexe wird nach Regeln berechnet, die zuvor durch die Wahrheitstafeln willkürlich festgelegt worden sind. Das empirisch Gegebene, das sich unmittelbar zeigen soll, wird in eine logische Idealsprache gekleidet, aus der dann alles weitere nach den selbstgegebenen Regeln der (Aussagen-) Logik berechnet werden kann. Man hat es also in diesen Gedankengespinsten mit einer Manipulation zweier Größen, der Wahrheit und Falschheit, nach vorab zu bestimmenden Regeln, den sogenannten Wahrheitsfunktionen, zu tun. Das Ganze degeneriert ersichtlich zu einem bloßen Spiel mit nichts bezeichnenden Zeichen, da ja, wie gesagt, die Wahrheit und Falschheit der kombinatorisch zu rangierenden Elementarsätze postuliert beziehungsweise als bekannt vorausgesetzt worden ist. Die Wahrheit und Falschheit der aus ihnen zu ziehenden molekularen Satzkomplexe hängt ausschließlich von diesen Werten ab und kann rein mechanisch, und ohne daß man sich bei ihnen irgend etwas denken kann, oder muß geistlos nach den Festlegungen in den Wahrheitswertetabellen berechnet werden. Auf diese Weise ergibt sich dann die beliebige Definitionsmöglichkeit von komplexen Ausdrücken innerhalb einer so konzipierten Aussagenlogik. Sie wird dadurch zu einer reinen Definitionslehre von komplexen Wahrheits-Falschheits-Ausdrücken. Die Aussagenlogik ist folglich nichts weiter als ein inhaltsleeres und gedankenloses Zeichenspiel.

Darin besteht das irrationelle und unvernünftige und letztlich sogar willkürliche Prinzip der mathematischen Ableitungen, so es denn damit seine Richtigkeit hat. Dass man das alles auch ganz anders sehen kann, ist gleichfalls meinem oben namhaft gemachten Buch über Hartmann zu entnehmen, wo, unter Rückgriff auf den kritischen Ontologen über das ideale Sein mathematischer Gegenstände ausführlich auf den Seiten 49-65 nachgedacht worden ist. – Doch zunächst sollen ein paar der gedanklichen Fehler in Augenschein genommen werden, die dem Existential- und Fundamentalontologen in seinem bemühten Forschen unterlaufen sind. Wenn ich von Existential- und Fundamentalontologie in einem Atemzug spreche, kann ich mich im übrigen auf Heidegger selbst berufen, der in späten Jahren betont hat, daß schon das Interesse von „Sein und Zeit“ letztlich dem Sein und nicht der Existenz gegolten habe.

Den Hintergrund dieser Serie bildet aber, um dies gleich vorweg zu sagen, die Kritik an den diversen Formen einer sich in den meisten Fällen wissenschaftlich gerierenden Wissenschaftsfeindschaft, wie sie besonders schön an Heidegger, der deswegen als erstes inspiziert wird, zu studieren ist.

Ontologie und das Bedürfnis danach ist das Ergebnis eines Überdrusses an erkenntnistheoretischen Fragestellungen. In ihnen ist sozusagen das Wetzen des Messers zum Selbstzweck geworden, wenn ein methodologisch zugerichtetes Denken nur noch auf sein eigenes Vermögen reflektiert, also darauf, wie Gegenstände von Akten des Bewußtseins konstituiert werden. Heutzutage ist es umgekehrt allerdings schon längst wieder angesagt und guter Brauch, Objekte der Wissenschaft wie wissenschaftliche Gegenstände, also nicht als vorgefunden anzusehen, sondern, ein Rückfall in die Zeiten der Bekenntnisse zu den Vorurteilen der Methodologie, nach Maßgabe bestimmter Erkenntnisinteressen, Fragestellungen, theoretischer Vorannahmen und Modelle durch terminologische Differenzierungen, wie es heißt, zu konstruieren bzw. zu erfinden. Wissenschaftler sprechen nicht über Gegenstände, sondern über Probleme, die sie mehr oder weniger willkürlich kreiert haben. Und die gibt es selbstredend nicht an sich, sondern nur für die Konstrukteure aus der Forschergemeinde selbst, für die sich ansonsten entsprechend auch niemand sonst zu interessieren braucht. Dabei ist es ersichtlich ein Fehler bzw. eine Unmöglichkeit, das Erkennen vor dem Erkennen erkennen zu wollen, weil sich das Erkennen nur erkennend durchführen läßt. Man müßte sich schon im Besitz desselben befinden, um sich über sein Funktionieren Rechenschaft ablegen oder es kritisieren zu können. Anders gesagt, Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie kann erst im Anschluß an das konkrete Erkennen der Wissenschaften sinnvollerweise praktiziert werden, etwa in Form einer Onto-Logik, die sich des Allgemeinen des wissenschaftlich tätig gewordenen Gedankens nachträglich vergewissert. Vor dem Erkennen mit dem Erkennen ins reine zu kommen kann nur heißen, sich auf es nicht einlassen zu wollen.

Ontologie als ein „zurück zu den Sachen!“ bei Heidegger, was ihre anfängliche Anziehungskraft auf den akademischen Nachwuchs ausgemacht haben mag, wird aber nolens volens selbst zur Erkenntnistheorie, weil auch sie sich auf die Suche nach dem Ursprung begibt, den sie nun allerdings nicht in methodologischen Vorüberlegungen ausfindig macht, sondern indem sie in Form der Seinsfrage nach etwas Ausschau hält, was den Axiomen und Grundsätzen der Einzelwissenschaften zugrunde liegen soll. Mit dem Sein ist an etwas gedacht, das die Wissenschaft und das wissenschaftliche Denken konstituieren soll. Die Wissenschaften befassen sich, diesem Verständnis zufolge, mit jeweils wie auch immer bestimmtem Seienden. Die Ontologie hingegen befaßt sich mit dem unbestimmten Sein, das aber ganz ausdrücklich nicht ein Begriff und somit das Ergebnis einer verallgemeinernden Abstraktion sein soll. Es soll überhaupt nichts mit dem Denken zu tun haben, und zwar weder in seiner konkreten noch abstrakten Beschaffenheit. Der Seinsphilosoph ist und begreift sich weder als einen Einzelwissenschaftler noch als einen (Formal-) Logiker oder Wissenschaftstheoretiker.

In diesem Kontext schafft die sogenannte „ontologische Differenz“ klare Verhältnisse. Jedenfalls auf den ersten Blick. Die Wissenschaften und das Bewußtsein des Alltagsverstandes werden der Seinsvergessenheit geziehen, weil sie sich nur und ausschließlich mit bestimmtem Seienden, also irgendwelchen in ihrer jeweiligen Eigenart zu identifizierenden Gegenständen befassen. Hier wird also einerseits an der Bestimmtheit der gedanklichen Arbeit Anstoß genommen. Das Sein soll aber andererseits auch kein Begriff, keine Abstraktionsleistung des denkend sich Rechenschaft ablegenden Intellekts sein, sondern etwas, was jedem denkenden Bestimmen voraus liegt. Und das ist ein Schwindel, weil das Sein das bestimmungslose Allgemeine schlechthin, also Abstraktion pur ist, bei der man sich nichts denken kann, weil es der Gedanke kat exochen ist. Und gerade weil es bei dem gänzlich Unbestimmten nichts zu denken gibt, kann von Heidegger in es etwas hineingeheimnist und mit einem unaussprechbaren Sinn ausgestattet werden, weil es dafür oder dawider ohnehin nichts zu vermelden gibt. Genauer gesagt: Dieses Bestimmungslose ist der allem zugrunde liegende Sinn schlechthin. Und das ist ungemein trickreich, weil sich der Ontologe auf diese Weise unangreifbar gemacht hat. Unaussprechbar ist der allem zugrunde liegen sollende Sinn deswegen, weil Sein im Sinne einer creatio ex nihilo Welt aus sich entspringen lassen soll. Das kann freilich deswegen nicht funktionieren, weil aus einer bestimmungslosen Identität, die Sein ist, nichts Bestimmtes folgen kann. Dem Fundamentalontologen bereitet diese erhabene Leere des Seins aber nicht nur keine Schwierigkeiten, sondern er verbucht dieses Nichts des Seins als den eigentlichen Gewinn seines Abstrahierens. Seine ganze Anstrengung ist darauf gerichtet, jede Spur einer Reminiszenz an Seiendes zu vernichten und zu tilgen, auch auf die Gefahr hin, daß das Ergebnis seiner Reduktion schließlich darin besteht, daß eigentlich nichts mehr übrig bleibt, über das sich etwas anderes aussagen ließe, als die Tautologie, daß es es selbst sei.

Darüber hinaus besteht die Kunst des Hinterfragens alles Bestehenden und Seienden darin, daß gar nichts mehr in Angriff genommen wird. Heidegger fragt derart radikal, kapriziert sich auf eine unbedingte Suche nach dem Ursprünglichen, daß die Realität, in der wir leben im Verhältnis zu jeder möglichen Antwort auf eine solche Frage bedeutungslos und gleichgültig ist. Und diese Differenz wird noch dadurch vergrößert, daß gesagt wird, daß es ohnehin bloß auf das Fragen ankomme, und daß sich jede mögliche Antwort an dem Tiefsinn der Frage und ihrer Aura vergehe. Auf jeden Fall sei es eine unzulässige Verflachung der Frage, wenn sie beantwortet, oder man auch nur versuchen würde, sie zu beantworten. Statt also gedanklich sich über irgend welche Vorkommnisse theoretisch Klarheit zu verschaffen, um sich ihnen gegebenenfalls praktisch stellen zu können, plädiert Heidegger für Unterwerfung pur, wenn er davon spricht, daß man nicht etwa dem Staat, in dem zu leben man gezwungen ist, sondern dem Sein quasi schicksalhaft „hörig“ sein müsse. Und der Sinn des Seins, dem man sich bedingungslos unterzuordnen habe, sei kein anderer als die sinnlose, nämlich geworfene und ins Nichts hinausgehaltene Existenz. Negativität als solche ist das eigentlich Positive und Sinnvolle des Seins.

Absurd ist diese Verselbständigung des Seins zu einem eigenständigen Subjekt aber auch deshalb, weil einerseits unterschlagen worden ist, daß es sich bei ihm um ein gedankliches Konstrukt handelt. Von diesem Konstrukt oder philosophischen Entwurf wird dann andererseits so getan, als ob es unmittelbar das Sein wäre. Und ihm wird dann drittens eine Potenz des Subjekts angeheftet, indem ihm ein aktivisches Vermögen unterstellt wird, dergestalt, daß es sich als eine unmittelbare Einflußnahme auf diejenigen äußere, die es mit ihren Abstraktionsleistungen doch überhaupt erst in Gedanken erschaffen haben. Diese Verselbständigung des Erschaffenen zu einem eigenständigen Subjekt ist aber deswegen vorgenommen worden, um das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Subjekt und Objekt umzukehren, das Subjekt zum Produkt seines Produktes zu verfälschen, dem es sich bedingungslos auszuliefern und zu unterwerfen habe: Sein als auf sich zu nehmendes blindes Fatum oder Geschick. Auch so kann ein metaphysisch ausgepinseltes Plädoyer für Abhängigkeit pur aus der Taufe gehoben werden. Und so versteht es sich auch, daß Heidegger vor der Blindheit dieses Seins nur eine einzige Haltung für die angemessene hält: eine blinde Unterwerfung in Form des Existentials der „Hörigkeit“.

Dies bedacht leuchtet es nicht mehr ein, Heideggers sogenannte und damit bereits verharmloste politische Exzentrizitäten wie den Wildwuchs eines orientierungslos gewordenen Denkers kleinzureden, um durch diese verschämte Generalabsolution sich dann umso unbefangener an der puren Weisheit der reinen Lehre zu erbauen. Solche Formulierungen wie diejenige, daß das Sein der Führer sei, sind nichts weiter als Konsequenzen aus dem propagierten Begriff des Seins. Und daß Heidegger nach dem Krieg auch noch auf eine andere Weise als faschistisch adaptiert werden konnte hat damit zu tun, daß dieser Seinsphilosoph Geschichte auf der einen Seite ontologisiert hat, um sie auf der anderen Seite selber wie Natur in ihrem blinden Vollzug zu vergotten. So kann man, je nach Bedarf und politischer Einstellung, das Sein überall dort ausfindig machen, wo es als Geschick einen jeweils gerade hin verschlagen hat. Seinsphilosophie ist, um es auf den Punkt zu bringen, eine Philosophie für geistige Opportunisten.

Zu bedenken ist fernerhin, daß der Fundamentalontologe das der stets etwas Bestimmtes aussagenden Sprache gegenüber Anderen und, wie unterstellt wird, sich im Begriff nicht Erschöpfende nie anders als mittels des Begriffs zu entwickeln vermag. Er kann, allein dadurch, daß er sich zu Wort meldet, nicht den Anspruch durchhalten, sich dem begrifflichen Denken von Anfang an entgegengesetzt und entzogen zu haben, weil er nämlich, wie unbeholfen und verdreht auch immer, stets für sein Sein argumentiert. Und das weiß Heidegger selbst am besten, wenn er zuzugeben gezwungen ist, daß auch das Sein letztlich ein Begriff ist, wodurch alles Reden über das Sein zu einem vermittelten wird. Also bedient sich der derart in die Klemme Geratene des Mittels des Ausweichens, das als eines der Tiefe daher kommt, wenn er sich dieser sich aufdrängenden Frage wie folgt entzieht:

Weil das Ideal der Ursprünglichkeit verloren zu gehen droht, führt er eine andere – sprachphilosophische – Unterstellung ein: Seine Sprache soll unmittelbar eins sein mit dem, was sie ausdrückt. Diese unterstellt Unmittelbarkeit des sprachlichen Zugangs manifestiert sich dann in solchen kabbalistischen Wendungen wie der, daß das Sein sich in der Sprache „lichte“ oder „entberge“. Die Logik dieses Tuns ist es, dem Ausgangsdilemma auszuweichen, das darin besteht, daß Sein weder ein begrifflich Allgemeines noch ein Seiendes sein soll. Und da bietet es sich an, zu unterstellen, daß, da Sein nicht anders als in der Sprache ausgedrückt werden kann, der Sprache selbst ontologische Dignität zuzusprechen ist. Sprache, so wie Heidegger sie versteht, ist dann nichts anderes als die Erscheinung dessen, was in ihr gemeint ist. Es wird also so getan, als koinzidiere sie unmittelbar mit ihrem Anderen, das in ihr zu Sprache komme oder sich in ihr „lichte“. Und das ist deswegen Unfug, weil in jeder Sprache das mit ihr nicht von vornherein Identische gedanklich in die Verfügungsgewalt des Subjekts per vorzunehmender Identifizierung zu bringen versucht wird. Die Dinge reden weder von sich aus, noch geben sie ihre Identität unmittelbar zu erkennen, weil sie nämlich zunächst das dem Intellekt Fremde sind. Und diese jedem Sprechen anzusehende Differenz hebt Heidegger ganz einfach auf, weil es ihm um das unmittelbare Entsprechungsverhältnis seines Redens mit dem Sein geht.

Ohnehin kommen selbstverständlich auch Vertreter der nominalistischen oder positivistischen Philosophie ohne Begriffe nicht aus. Daß sie ohne diese nicht auskommen, verweist darauf, daß die Reduktion des Begriffs auf Seiendes genausowenig möglich ist wie umgekehrt die Reduktion des Seienden auf das Sein. Besteht also der Fehler Heideggers darin, die Verallgemeinerung des Seins von den Vermittlungen durch Seiendes frei zu halten, dann ist es der Fehler des Positivismus, des Seienden als solchen, ohne die Vermittlung durch den Begriff habhaft werden zu wollen. Heidegger hypostasiert das Sein, seine vermeintlichen Antipoden hypostasieren das auf seine begreifende Durchdringung Verzicht leistende Seiende, wenn sie sich gedankenloserweise als gedankenlose Empiriker aufführen.

Darüber hinaus macht sich Heidegger mit seinem Sein einer petitio principii schuldig. Weil er der prinzipiellen Vergänglichkeit des zeitlich Seienden entgehen will, wenn er die Ursprünglichkeit eines nicht zu bestimmenden Seins anvisiert, siedelt er dieses gesollte Sein dort an, wo die Zeit nicht hinreicht und gibt dieses dann für ein Ursprüngliches aus. Damit ist dann aber bereits, ohne daß dafür auch nur ein Argument ins Feld geführt worden wäre, entschieden, daß dem Seienden das Sein ontologisch vorgeordnet sein soll, weil es nur als nicht dem Zeitfluß ausgeliefertes grundlegend sein kann. Eigentlich geht es allenthalben nur darum, die im Sinne eines Vorurteils inthronisierte Position gebetsmühlenartig immer nur zu wiederholen, daß nämlich das Sein dem Seienden gegenüber das Vorgängige sei, ohne daß diese Behauptung argumentativ abgeleitet würde. Sie kann dies aber deswegen nicht, weil im Zuge dieser Begründung das Sein in irgendeiner Weise bestimmt werden müsste, um so seine Vorgängigkeit dem Seienden gegenüber zu begründen. Geschähe dies aber, würde das Sein, der unkritisch gemachten Vorgabe gemäß, selbst zu einem bedingten Seienden, das es, bei Strafe des eigenen Untergangs, auf gar keinen Fall sein darf. Womit man wieder da angelangt wäre, wo sich der Seinsphilosoph von Anfang an befindet. Bei dem supponierten Unmittelbaren der „ontologischen Differenz“. Das Sein soll weder das Abstraktum des Allgemeinbegriffs noch das bestimmte, unter einen Allgemeinbegriff befaßte bestimmte Seiende sein.

Weil also das Sein Heideggers diesen nicht mehr zu überbietenden Grad an Allgemeinheit hat, ist mit ihm weder argumentativ etwas anzufangen noch ist ihm mit Argumenten und kritischen Einwänden zu begegnen, weil nämlich jeder Einwand über es etwas Bestimmtes aussagen müßte. Genau das aber ist prinzipiell und von vornherein ausgeschlossen worden. Man kann also eigentlich nur daran glauben oder auch nicht, je nach Geschmack und Einstellung. Und weil dem so ist, ist damit auch erklärt, warum die Position des Existentialontologen eine intellekt- und wissenschaftsfeindliche sein muß: Gedankenlose Gedanken sind nämlich ansonsten und prinzipiell ein Widerspruch in sich und darüber hinaus unaussprechbar, was aber nicht für, sondern gegen sie spricht. Anders gesagt: Heidegger macht aus Armut pur einen nichts beinhaltenden Reichtum, einen Reichtum aus Armut. Und in dieser Haltung kommt er aufs Schönste überein mit der religiösen Grundeinstellung: Dem Dünkel des Glaubenden, der aus seiner Demut und Nichtswürdigkeit resultiert. Gerade auf seine Verworfenheit bildet sich der Glaubende alles ein.

Der Reichtum aus Armut hat aber darin seinen Grund, daß Heideggers Philosophie eine ganz und gar unkritische ist. Wortgeschichtlich gesehen leitet sich der Begriff Kritik nämlich aus dem Begriff des Scheidens ab. Das griechische „Krinin“ heißt unterscheiden. Gegen das für jedes Denken unverzichtbare Unterscheiden hat sich Heidegger aber der Bestimmungslosigkeit seines Seins zuliebe stets und unmißverständlich ausgesprochen. Die Sünde des Denkens soll das Unterscheiden sein, dasjenige also, ohne das kein Denken auskommt oder auch nur stattfinden kann. Deswegen war oben davon die Rede, daß Heideggers Philosophieren von Grund auf intellektfeindlich und irrational ist. Es muß dies sein, weil es sich nur so in seiner gewollten Reinheit des Seins einrichten kann. Da das Sein aber weder das Seiende noch ein wie auch immer Begriffliches sein soll, bleibt nur übrig, es als ein jedem Unterschied Vorgängiges und damit Archaisches in Szene zu setzen.

Vor diesem Hintergrund begreift man auch, weshalb der späte Heidegger von dem Menschen als dem „Hirten des Seins“ gesprochen hat. Damit und mit den ausgelatschten Schuhen einer Bäuerin soll ein vorrationaler, dabei ganz und gar bornierter metaphysischer Ursachverhalt getroffen werden, der auf primitive, voragrarische Verhältnisse einer Vieh züchtenden Gesellschaft zurückverweist. Die Faszination aber, die von Heideggers Denken bis heute ausgeht, ist, so gesehen, die Unbildung, die zu predigen dieser dem Denken abschwörende Denker sich gefällt. – Sein ist bzw. soll demzufolge dasjenige sein, in dem die Differenz zwischen Seiendem und Sein noch gar nicht besteht. Und dieses Unreflektierte oder Naive eines vorbegrifflichen archaischen Denkens – wenn man es denn so nennen will – wird dem Ursprünglichen und deswegen als höher Bewerteten gleichgesetzt. Diese Begeisterung für die Ununterschiedenheit eines vorrationalen Einfachen macht den immer wieder herausgestrichenen Antiintellektualismus dieser Philosophie aus, der also systematisch motiviert ist. Das heißt, daß diese Philosophie das Scheidende und Unterscheidende deshalb abwehrt, weil es der Unterschiedslosigkeit des Seins in die Parade fährt. Da aber das Scheiden und Unterscheiden eine unverzichtbare Funktion des sich betätigenden Intellekts ist, so muß mit der Abwertung dieses Vermögens auch der Verstand selbst abgewertet und als der rückgängig zu machende Sündenfall hingestellt werden.

Hiermit hat es auch zu tun, daß dieser erhabene Dünkel des Nichtwissens so etwas wie ein Surrogat für Menschen bietet, die in der Realität ihres wirklichen Lebens zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sind. Mit Hilfe der Weiten des Heideggerschen Ungedankens gelingt es ihnen, dasjenige zu leisten und freiwillig auf sich zu nehmen, was ihnen an Notwendigem im täglichen Einerlei aufgebürdet wird. Ja noch mehr, sie werden von Heidegger und den Seinen geradezu dazu ermutigt, das ihnen Auferlegte und scheinbar Unumgängliche in dem Bewußtsein auf sich zu nehmen, daß sie auf eine indirekte Weise durch diese erbärmliche und jämmerliche Verzichtshaltung des Eigentlichen teilhaftig werden, worin sich spätestens der religiöse Hintergrund dieses areligiösen Predigers offenbart.

Der von Heidegger favorisierte Seinsbegriff entzieht sich aber der Frage nach der Wahrheit oder Falschheit der Sätze über Sein deswegen, weil er jede Bestimmung von sich weist. Darüber hinaus wird konsequenterweise das Denken diffamiert, weil nur es diese Unterscheidung durchzuführen vermag. Außerdem und als Folge dieser Diffamierung kommt es dann zu einer vollkommenen Verarmung, weil es das supponierte Absolute ja nur deswegen ist, weil es als das bestimmungs- und unterschiedslose deklariert worden ist, bei dem man sich im prägnanten Sinne nichts mehr denken kann. Und diese Kargheit der eigenen Würde wird dadurch jeglicher Kritik entzogen, daß diese Unbestimmtheit zum Eigentlichen deklariert wird, wenn beispielsweise von dem „Abstieg des Denkens in die Armut seines vorläufigen Wesens“ die Rede ist. Heidegger tut gerade so, als sei die von ihm propagierte Armut die Frucht einer heilsamen Askese, weil nur so das Denken sich einerseits von den oberflächlichen und fassadenhaften Bestimmungen reinigen könne, um dann ausgerechnet in der gedanklichen Ödnis dieser freiwilligen Zurückgezogenheit einer wie auch immer beschaffenen Fülle teilhaftig zu werden. Schade ist freilich, daß dieses Versprechen, gerade in der heilsamen Armut die Fülle zu entdecken ein frommer Wunsch bleiben muß, weil jeder Versuch, dieses Sein zu bestimmen es auf der einen Seite dem Begriff und auf der anderen Seite dem Seienden ausliefern würde. Also wird man mit Begriffen vertröstet, die nicht, wie es einzig sinnvoll wäre, als Begriffe durch ein anderes bestimmt sind, sondern mit begriffslosen Begriffen, die lediglich noch sich selbst bedeuten. Letztlich wird man mit Formeln abgespeist, die monoton hergebetet werden (können).

Überhaupt ist die Haltung verräterisch, mit der das alles vorgetragen wird. Es liegt dem Versprechen, auf den Grund des Seins vorzustoßen, das Prinzip der Vertröstung zugrunde. Wer immer und vor allem auch in der Politik davon redet, daß dasjenige, was versprochen wurde, irgendwann einmal eingelöst werden wird, hat dies entweder nie vorgehabt oder ist dazu, wie im Falle Heideggers, prinzipiell unvermögend. Dieses Versprechen soll also lediglich darüber hinweg täuschen, daß eine Erfüllung auf Grund der gemachten Voraussetzung ganz und gar ausgeschlossen ist. Es verhält sich damit ähnlich wie mit der sprichwörtlichen Faktenhuberei der empirischen Soziologie, die ja auch stets behauptet, man müsse erst unendlich viel Material mittleren begrifflichen Niveaus und Umfangs zusammenlesen, bevor man dann irgendwann einmal möglicherweise zu der Voraussetzung einer gescheiten Theorie der Gesellschaft sich durchgeläutert habe. Eine Theorie der Gesellschaft ist aber etwas gänzlich anderes als das Aufhäufen unzähliger Einzelbeobachtungen und ihrer anschließenden Klassifikation. Mit diesem Ansatz kann der Begriff der Gesellschaft nicht nur nicht erreicht werden, sondern ist vom Ansatz her ausgeschlossen. Hier steht diesem Versprechen die schiere Unendlichkeit des empirischen Details im Weg. Dort die Armut des Seins, in die sich das Denken zurückbegeben müsse, um ausgerechnet dort der Fülle des Seins zu begegnen. Anders gesagt, diese unterschiedlichen Ausweichmanöver machen stets aus der Not eine Tugend, wenn aus Mängeln der Theorie, aus etwas Negativem eine höhere Form der Positivität verfertigt wird. Also hinsichtlich des Seins des Fundamentalontologen wird so getan, als ob die Abstraktheit, die die unumgehbare Aporie des Seins ausmacht in Wirklichkeit sich in größerer Nähe zu der wirklichen Fülle dessen befinde, was das Eigentliche ist.

Aber auch rein geschichtlich betrachtet geht Heidegger fehl. Denn sein Sein, das er philosophiehistorisch als das vorgedankliche Erste ausgibt, ist bereits das Ergebnis einer Reflexion und eines Abstraktionsvorganges. Genau genommen ist es sogar die Abstraktion schlechthin, eben weil sich bei dem Sein nichts Bestimmtes denken läßt. Die griechischen Denker wie beispielsweise und vor allem Parmenides hatten nicht zunächst die von Heidegger ihnen unterstellte pure Seinserfahrung, sondern das Sein, das sie meinten, war das Ergebnis des Nachdenkens über ein zunächst unverstandenes Seiendes, das sie mit Hilfe ihrer General-Abstraktion einer wie auch immer fragwürdigen Erklärung zuführen wollten. Also ist es genau anders herum, als Heidegger uns glauben machen will: Nicht ein ursprüngliches, intellektfreies Sein stand am Anfang, an dem sich dann seit Plato die verkopfte Philosophie vergangen hat, sondern eine als chaotisch erfahrene Welt sollte mit solchen Prinzipien, die der Intellekt sich hat einfallen lassen, in eine halbwegs plausible Ordnung überführt werden. Heidegger will also, kurz gesagt, eine Verfallsgeschichte konstruieren, und ist auch hierin dem religiösen Geschichtsverständnis kongenial: ein harmonischer, intellektfreier Urzustand wurde von einem durch den Intellekt herbeigeführten Abfall abgelöst, wofür der Mensch qua Mensch immer und in alle Ewigkeit in Sack und Asche zu gehen hat. Oder auch nicht, gesetzt er wird dem Sein hörig oder der Hirt des Seins …

Die Gedankenbestimmung des Seins eines Parmenides jedoch ist deswegen von so besonderes hohem Wert, weil mit ihr erstmals in der Geschichte des abendländischen Geistes ein Abstraktionsniveau erreicht worden ist, mit Hilfe dessen man sich konkrete Vorgänge in der Natur etwa verständlich und begreiflich machen kann. Diese Bestimmung des Gedankens ist das Ergebnis eines Gefühls der Insuffizienz oder der Anstoßnahme daran, daß sich die frühen Naturphilosophen zunächst mit einzelnen, mehr oder weniger willkürlich ausgedachten Prinzipien oder Stoffen auf der Welt eben nicht zurechtgefunden hatten. Diese Erklärungsversuche der Mannigfaltigkeit des Erscheinenden waren gedankenlos. Und diesem Mißstand hat in der Tat Parmenides abgeholfen, wenn er das Prinzip der Erklärung des Seienden im Sein, also in der Verallgemeinerung des Gedankens als solchem ausfindig machte. Daß ihm darüber die per Differenzierung zu bestimmenden Besonderheiten der Dinge oder das Unterscheiden abhanden gekommen sind, ist allerdings der sein abstraktes Denken charakterisierende Mangel, worauf dann Platon und Aristoteles in ihrer Kritik aufmerksam gemacht haben.

Denn daß es nachfolgend um die Konkretisierung dieser Abstraktion gegangen ist, also darum, jeweils bestimmte Gedanken zu denken, und damit die vermittelte Unmittelbarkeit des ersten, notwendig abstrakten Gedankens hinter sich zu lassen, ist den Bemühungen um bestimmte (ethische) Verallgemeinerungen eines Sokrates, Platon oder vor allem des Aristoteles zu entnehmen. Sie ruhten sich weder auf diesem gedankenleeren Abstraktionsniveau eines in seinem Anfang bereits zu seinem Ende gekommenen Nichts noch auf der wahrnehmungsgestützten und folglich nichts erklärenden Verdoppelung der Welt mit ihren vier vermeintlichen Elementen aus, sondern machten beide Einseitigkeiten – die des puren, gedankenarmen Empirismus und die des nichts denkenden, weil identitätslogisch ausgehöhlten Idealismus – zum Ausgangspunkt ihrer geistigen Arbeit, in der es um die Bestimmung der wirklichen Eigenarten irgendwelcher Gegenstände ging. Und in diesem Anliegen sind ihnen dann, ca. 2000 Jahre später, die Begründer der empirisch untermauerten mathematischen Naturwissenschaften in Gestalt Galileis, Keplers und Newtons etwa gefolgt. Damit ist auch noch einmal klargestellt, daß das Sein erstens nicht ein Unmittelbares, sondern ein Vermitteltes ist, und daß es zweitens nur insofern als ein Unmittelbares apostrophiert werden kann, als mit ihm die intellektuelle Auseinandersetzung des menschlichen Geistes mit der zunächst als fremd und feindlich erfahrenen Welt anhob.

Daß Parmenides dabei ein gedanklicher Fehler unterlaufen ist, soll hier noch extra vermerkt werden. Er ist nämlich folgendem Irrtum aufgesessen: Weil die unverstandene Mannigfaltigkeit immer mehr angewachsen war, hielt er es für notwendig, diesem schier unendlichen Material mit Hilfe eines Prinzips einen Erklärungsgrund für Alles unterzuschieben, und verkannte dabei, dass ein Erklärungsgrund, der alles erklären soll, eben darum nichts erklärt. Das Alles ist genau so viel oder so wenig wie das Nichts. Aber weil ihm genau dieser alles erklären sollende Grund vorschwebte, verfiel er auf das Sein, das, als die General-Abstraktion, nichts mehr erklärt, und exakt deswegen das gesuchte allgemeine Prinzip ist. Nur: Es ist als Unmittelbares ein ganz und gar Vermitteltes, was Heidegger nie hat wahrhaben wollen, und es leistet genau das nicht, was es leisten sollte: Alles zu erklären. Erklärungswert haben ausnahmslos bestimmte Gedanken, die an der Bestimmtheit das Kriterium ihrer Überprüfbarkeit besitzen. Umgekehrt folgt daraus: Wo es kein Kriterium gibt, ist der argumentativen Überprüfbarkeit der Boden entzogen worden.

Und darin kommen Parmenides und Heidegger dann doch wieder überein, daß ihr Prinzip nichts erklären kann, auch wenn der eine mit ihm, als purer Abstraktion, alles erklärt haben wollte, der andere es vor aller Erklärung als das Voraussetzungslos-Ursprüngliche inthronisiert hatte, dem man sich nur, wie dem Göttlichen, in der ahnenden und begeisterten Schau des eingeweihten Sehers in Form gestammelter Archaismen und Neologismen nähern kann, indem man es auf gar keinen Fall soll rational benennen dürfen. Anders gesagt, der eine kreiert aus dem Bedürfnis einer dem Wandel nicht mehr unterworfenen Erklärung eine oberste Abstraktion, die, weil sie von allem bestimmten Seienden absieht, nichts anderes mehr ist als der reine Gedanke des Seins oder pures Denken. Und der andere operiert zwar mit derselben Abstraktion und will nur nicht zugeben, daß sie eine solche ist, weil sie dadurch ihrer unterstellten und gesollten Ursprünglichkeit verlustig ginge und als ein Vermittlungsprodukt des Denkens in Erscheinung träte, womit der Anspruch auf das Ursprüngliche und nicht durch den Intellekt zerredete blamiert wäre.

Und in dieser Aporie, einerseits das Unsagbare nicht sagen zu können, dies aber bei Strafe der Sprachlosigkeit doch immer wieder tun zu müssen, indem im Zweifelsfall nur Tautologien oder Metaphern im geistfeindlichen Angebot sind, besteht das Spezifikum der Heideggerschen Philosophie für Eingeweihte, die sich auf ihren Ausstieg in die Gedankenlosigkeit oder den Abstieg in die geistige Armut auch noch wer weiß wie viel zugute halten. Denn, um es noch einmal zu sagen, weil das Sein weder das Seiende noch eine, und sei es auch gedankenlose, gedankliche Bestimmung und Abstraktion sein soll, ausgedrückt in der Copula oder dem Satzteilverbinder jeglichen logischen Urteils, bleibt lediglich das Konstrukt eines Seins übrig, von dem es buchstäblich nichts mehr zu sagen gibt, als daß es es selbst sei. Denn, wie sagt der Meister in der Schrift „Brief über den ‚Humanismus‘“? „Doch das Sein – was ist das Sein? Es ist Es selbst.“ Eine explizite Nicht-Aussage als Aussage … So etwas, eine contradictio in adjecto, muß man – voluntaristisch – einleuchtend finden wollen. Wer dem nicht folgen kann, wird der Seinsvergessenheit geziehen, was auch nicht weiter schlimm ist, da es ja, der Tautologie sei Dank, nichts zu begreifen gibt.

Dieses Denken jedenfalls steht der traditionellen Bestimmung des Geredes gar nicht so fern, als es Begriffe verwendet, die sich der denkenden Erfüllung verweigern, indem die einzige Bestimmtheit, die es zu bieten vermag, das Unbestimmte des gänzlich Abstrakten und Leeren ist. Das absolut Unausdrückbare, weil allen Prädikaten Entrückte wird bei Heidegger als Sein zum ens realissimum. Und hierin behält Hegel recht, wenn er von dieser Abstraktion zu Beginn seiner Logik demonstriert, daß es nicht mehr oder weniger als das Nichts ist. Umgekehrt aber bezichtigt es gerade dasjenige Denken der Niedrigkeit und der Alltäglichkeit, das es sich zur Aufgabe macht, daß sein Reden tatsächlich bestimmten Gedanken zum Ausdruck verhilft. Und weil dies die Stoßrichtung des Meßkircher Philosophen ist, ist sein Denken ein ganz und gar unwissenschaftliches, wenn es die unbedingte Nihilität als Positivum zu Gehör bringt. Denn um es ein letztes Mal zu sagen: Sein Nicht-Denken-Können des Seins resultiert daraus, daß es in der Unbestimmtheit, die es verlangt, sich gar nicht denken läßt. Und dies ist der deutlichste Hinweis auf den Antiintellektualismus dieser Nichtwissenschaft, was, dies die Ironie der Geschichte, Heidegger der letzte wäre zu bestreiten.